Tour de Nordend - Teil 1 -

Musiktruhen haben keine Augen. Sagen die Menschen. Musiktruhen haben keine Ohren. Sagen die Menschen. Musiktruhen sind keine Lebewesen. Sagen sie. Sie können nicht denken. Nicht fühlen. Nicht bewerten. Nicht lieben. Nicht hassen. Sagen sie. Doch wieso nehme ich dann so vieles wahr? Wieso bewerte, liebe, hasse ich so vieles?
Musiktruhen sind nicht groß. Es gibt größere Möbel, höhere. Welche, die mehr her machen. Welche, die imposanter sind. Luxuriöser. Schöner. Doch ich bin wie ich bin. Ich bin praktisch. Auf meine Weise hübsch. Quadratisch, praktisch, gut. Sagen die Menschen. Zu einer Schokolade. Habe ich im Radio gehört. Aber die ist auch kein Lebewesen. Glaube ich.
Man hat mich „ausgesetzt“. Ach, nein! Das machen Menschen mit Hunden. Man hat mich auf den Bürgersteig gestellt. Morgen soll ich abgeholt werden. Sperrmüll. Sagen sie. Ich weiß nicht, was das bedeutet. Jahrelang stand ich woanders. In einer überheizten Wohnung. Immer stand ich an dem einen gleichen Ort. Neben mir eine alte Ledercouch. Vielleicht war sie ockerfarben, vielleicht orange. Ich kann es nicht sagen. Sehr abgenutzt war sie. Sehr beredt. Sie knirschte und knarzte am Ende. Die Menschen, die sich auf sie setzten, wurden ihr zu schwer. Manche legten sich drauf. Danach fühlte sich die Couch noch mieser. Am nächsten Tag. Gegen Ende legte sich die eine Person immer öfter auf sie. Ein Mann mit großer Brille. Er gehörte wohl zu der alten Frau. Ich bekam sie die letzte Zeit immer weniger zu sehen. Daneben eine Vitrine. Ich fand sie sehr schön. Sie war majestätisch. Hoch. Breit. Stark. Mit vielen Schubladen und Türen. In der Mitte waren sie gläsern, diese Türen. Sie ließen den Blick frei auf viele Gegenstände. Edle Gegenstände. Gegenstände, die nicht so praktisch waren wie ich. Kaffee-Services mit Blümchen darauf. Hübsche Sekt-Gläser. Wundervolle Likör-Gläser. Ich hätte es schön gefunden, wenn sie einen anderen Platz gehabt hätten. Auf mir. Ich liebe Schönheit.




Auch ich bin auf meine Weise schön. Ich bin eine Nordmende Isabella 58 3D. Baujahr 1958. Mein Radio ist voll funktionsfähig. Der Plattenspieler nur eine Zier. Leider kaputt. Dabei gefielen mir die Platten besser als die Musik im Radio. Mein Lautstärkeregler knackst im Ton beim Laut-Leise machen. Sagte der Mann mit der Brille. Meine Schiebetüren knarzen allerdings noch immer nicht. Ich bin gut erhalten. Sagt man. In gutem Zustand. Was auch immer. Der Mann mit der Brille zählte meine technischen Daten auf. Er wollte mich einem Freund verkaufen. Das klappte wohl nicht.
Trotz Rundfunkempfänger. Radio oder Tuner. Trotz: 9 Röhren. Prinzip Superhet allgemein. Anzahl Kreise 10 Kreis(e) AM, 13 FM-Kreis(e). Wellenbereiche Langwelle, Mittelwelle, Kurzwelle und UKW. Spezialitäten Plattenwechsler. Wechselstromspeisung 220 Volt. Ausgangsleistung 4 Lautsprecher / 12 W. Standgerät mit Drucktasten. Abmessungen (BHT) 1075 x 850 x 455 mm. Klangregister mit 6 Tasten. Phono-Chassis Dual 1004. Nostalgie pur. Sagte er.

Fortsetzung folgt... (morgen)

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