Ausschnitt aus "Lass mich dein Raubtier sein" von Thomas Reich



Nun, wo Anna fort war, blieb keine schützende Hand mehr übrig. Ich erwachte nach drei durchfickten Nächten, die nur den Katzenschlaf kannten zwischen dem Einschlafen der Frau und dem sich zur Tür schleichen. Benommen in einem fremden Bett, den Rücken von Fingernägeln zerkratzt. Zur Flucht zu spät. Zum Kaffee genötigt. Wie konnte mir so ein Patzer geschehen. Dass ich über Nacht geblieben war?
„Du hast an eine Andere gedacht, als du mich gefickt hast, nicht wahr?“
Ich dachte nicht daran, auf diese Frage zu antworten! Was erdreistete sie sich? Sie hatte mit dem Fickmeister geschlafen!
„Schon okay, brauchst mir nicht sagen. Du wirkst unglücklich.“
„Bin ich nicht!“
„Ach. Dein Körper sitzt hier in meiner Wohnung, seit Mitternacht. Und trotzdem bist du kilometerweit von mir entfernt.“
Sie machte eine kurze Pause.
„Und von dir auch.“
„Ich habe eine Trennung hinter mir.“
„Relativ frisch?“
„Kann man so sagen.“
Ich biss mir auf die Lippen und studierte das Kleingedruckte auf der Kaffeesahne. Ich sah nur wie sie um den Tisch herumkam, wie in Zeitlupe, und ihre Arme tröstend um mich schlang. Was hatte ich denn verbrochen? Tränen krochen meine Schienbeine hoch, verkrampften meinen Magen auf ihrem Weg und kämpften sich nach oben durch. Wie ein Leichtschwimmer, der sich in tiefe Gewässer vorgewagt hatte, schlug ich mich frei und stürmte zur Tür. Raus aus diesem Alptraum. Zurück blieb nur eine halb geleerte Kaffeetasse.
*
Dokumentarfilmer in der Minoritenstraße, irgendeine saudämliche Einstellung für eine ZDF-Vorabendserie, ich rannte den Protagonisten mitten durchs Feld, ein wütender Regisseur verfluchte mich. Dabei floh ich nur vor meinem eigenen Film. Rannte. Immer weiter. Mir wehender Jacke die Marspfortengasse hinauf. Weiter. Über den Domplatz, durch das Marktgeschehen des Wochenmarktes. Die Pforten des Domes, sie öffneten sich unter meinen zitternden Händen und gewährten mir Einlass.
Wie viel Zeit verging? Schwer zu sagen. Ich war zwischen den Kirchenbänken eingeschlafen, ein traumloser, fast komatöser Schlaf der völlig Erschöpften. Ich weiß, ich hatte Stimmen gehört. Doch es war nicht Anna, die zu mir sprach. Nur ein Priester, der mich wachrüttelte.
„Junger Mann, wir schließen jetzt. Bitte gehen Sie nachhause.“
Der hatte gut reden. Was man nun zuhause nannte. Die majestätische Leere einer Kaverne. Die Kühlschrankglut meiner Vierwandzelle. Kein Obdach ohne Anna.
*
Im Andres, am Kartäuserwall. Weg von den Diskotheken. Sprach ich nicht von einem System der Mäßigung? Ich tauschte eine Sünde gegen die nächste aus und ließ mich volllaufen bis selbst der Wirt mir nichts mehr ausschenkte.
„He Kai, wie geht’s?“
Guido die alte Hackfresse. Lange nicht gesehen. Konnte man in so einer großen Stadt nicht einfach alleine bleiben?
„He Alter, ich hab grade eine voll krasse Lieferung Speed bekommen. Magst du Party machen? Komm, ich lade dich ein.“
Es empfiehlt sich, seine Freunde gut auszusuchen. Diesen zählte ich auch nicht zu meinen Freunden. Er war der dunkle Schatten, der mir folgte. Der mich immer wieder fand, wenn es mir schlecht ging und nie eine ratsame Lösung für meine Probleme parat hatte. Wenn mein Willen zur Selbstzerstörung ein Gesicht getragen hätte. Dann wäre es dies von Guido gewesen. Manchmal fragte ich mich, ob er wirklich real oder nur eine Manifestation meines Geistes war.
Wir spülten die kleinen orangeroten Fitmacher auf der Toilette runter. Das Wasser war kalt und schmerzte an den Zähnen. 
*
Im Übernacht. Einhundertachtzig Beats per Minute rasten durch meinen Körper. Wieder eine Disko. Back to the roots, wie die gealterten Ghettokinder sagen würden (ihre Gesichter Momentaufnahmen der Coolness). Meine Party, die kein Ende fand. Die schiere Vernunft hielt mich an, auf Softdrinks umzusteigen. Mein Körper lief auf Reserve. Mutete ich ihm zuviel zu, wäre er früher oder später sehr effektvoll zusammengebrochen.
„Bist du öfters hier?“
So dämlich es klingt, manchmal sind die Standardanmachen die besten. Ich gab ihr einen GinTonic aus, ihr Lächeln wie Eiswürfel, kalt und berechnend. Ich war erleichtert, dass wir uns nichts vormachen mussten. Wir wurden durch einen unseligen Stern geeint, doch das Universum drehte sich weiter auf seiner steinigen Achse. Ich hörte Guido schrill kichern, wie einen interstellaren Kuppler.
*
Das Leintuch trug noch die Spuren anderer Männer und anderer Nächte, die dieses Geschöpf gelebt hatte. Es war fleckig und krümelig, Dreck wie Straßenschuhe. Über uns, am Dachfensterfirmament die bleiche  Scheibe des Vollmondes. Fiebrig und ranzig der Geruch ihres erhitzten Fleisches, suhlend in der Kloake. Ich kam & schrie nach meinem Engel, den ich verloren hatte. 
http://dirtydichter.blogspot.com/2012/02/ausschnitt-aus-lass-mich-dein-raubtier.html

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