Blog übergreifender Adventskalender: Weiß wie das Licht

Karo Stein hat dieses Jahr einen Blog übergreifenden Adventskalender initiiert, an dem ich mich gerne beteilige. Und zwar mit etwas ganz Besonderem, womit euch, liebe Leser*innen ganz selten beglücke: Mit einer Kurzgeschichte, die auch noch unveröffentlicht ist! Viel Spaß damit! :-)


http://www.wonderlandmagazine.com/wp-content/uploads/2012/10/logan1.jpg entnommen - LOGAN LERMAN
Weiß wie das Licht

Wie weiße T-Shirts, Hosen oder Schuhe in diesem fluoreszierenden Disco-Licht im Dunkeln erstrahlen, so tat Clemens dies in der Menge dieser tanzenden Traube von stylishen Männern, einer hübscher als der nächste. Der schüchterne Julius blickte auf ihn und hatte dabei das Gefühl, dass ein Theater-Spot auf diesen blondgelockten Clemens gerichtet worden sei, auf dass er ihn, nur ihn, bemerkte: Dem Wunderbarsten in dieser wunderbaren Menge. Sein Blick ließ sich nicht mehr von ihm abwenden, jede der Bewegungen des Schwarms kosteten seine Augen aus, die wilden Dance-Moves, die Mimik dabei, immer mit Mundzügen, die nach oben zeigten, mit weit aufgerissenen Augen, glücklich an diesem Ort zu sein, im Moment zu leben. So erschien er ihm. Clemens strahlte nur für ihn. So dachte der schlaksige Julius das im ersten Moment, beim minutenlangen Beobachten. Krampfhaft versuchte er sich selbst davon zu überzeugen, mehr Mut aufzubringen, sich in seine Nähe zu boxen, querfeldein durch die tanzenden Körper, Jungs, die miteinander flirteten, ohne miteinander zu reden. Es war sein erstes Mal in einem Club mit einem „queeren“ Motto, was in diesem Fall besagte, dass fast ausschließlich männliche Gäste anwesend waren, es war anzunehmen, dass alle schwul waren – die wenigen Frauen befanden sich am Rand der Tanzfläche oder saßen etwas außerhalb in kleinen Grüppchen zusammen. Er versuchte herauszufinden, wer in Clemens´ Nähe tanzte, versuchte zu eruieren, ob die Männer an dessen Seite mit ihm da waren, ob einer von ihnen vielleicht sogar näher mit ihm verbunden sei. Clemens strahlte zwar, aber hätte Julius die hundert Männer auf der Party gefragt, wie attraktiv dieser sei, hätte bestimmt mindestens die Hälfte ´eher Durchschnitt´ gesagt. Nein, er hatte keine Muskeln, war auch kein schlanker Boy, dieser Clemens, ein bisschen Babyspeck konnte man erahnen, wenn beim Tanzen das T-Shirt ein bisschen Haut frei legte, aber das störte Julius nicht – er mochte nicht diese Jüngelchen mit Bundgröße 25, er wollte niemanden berühren, der noch dünner als er selbst war. Dabei wusste er aus eigener Erfahrung nicht, wie sich die einen oder die anderen anfühlten, er hatte noch nie einen Jungen berührt – ein Mädchen auch nicht. Er war fünfzehn und viel zu jung, um offiziell in diesem Club sein zu dürfen, aber er hatte immer schon älter ausgesehen, als er es war, und dies gereichte ihm nun zum Vorteil, die Türsteher schienen es sowieso nicht so ernst zu nehmen – der braungelockte Julius, der ein bisschen wie das Gegenteil von Clemens aussah, konnte es nicht wissen, aber bei solchen Veranstaltungen gab es selten Ausweiskontrollen; die Organisatoren müssten auf Einnahmen verzichten, sortierten sie ´das verehrte Frischfleisch´ aus. Die Regel: Je weniger junge Burschen da waren, desto weniger zahlungskräftige ältere Kunden kämen. Was sich wie ein Stricher/ Freier – Ding anhörte, war die normale Realität in diesem schwulen Jugendwahn-Clubbing. 
Clemens erstrahlte für ihn in dieser Masse von tanzenden Leibern, die dem letzten Modetrend hinterherhechelten, die sich selbst zur Schau trugen – nein, Clemens tat dies nicht, der sähe auch mit einem Kartoffelsack noch wunderschön aus. Er freute sich am Leben zu sein, zu tanzen, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Julius versuchte sich also durch die Menge zu tanzen, schaute sich dabei die Klamotten der Männer an, eng anliegend, weit ausgeschnitten, körperbetont, bunt und schillernd. Würde er jemals mit solchen Muskeln durch die Gegend laufen, fragte er sich, er ging regelmäßig joggen und schwimmen, aber mehr um seinen Kopf durchzupusten und Spaß zu haben. Selbst wenn er nicht zu jung für ein Fitness-Studio gewesen wäre, würde er sich nicht hinein wagen. Er kam seinem Schwarm näher, wurde immer nervöser, wusste noch nicht, was er täte, wenn er vor ihm stünde. Clemens hatte so viel Spannung in seinem Körper, strahlte so viel Selbstbewusstsein aus – wie alt mochte dieser Junge sein, fragte sich Julius. Noch ein paar Tanzbewegungen und er hatte sein Ziel erreicht, sein Herz spielte verrückt, es klopfte wie nach einem Dauer-Sprint im Sportunterricht, bum bum bum, höchste Aufregung, Flight and Fight Syndrom, so nannte man das in der Biologie. Wahnsinn, dachte er sich, Wahnsinn, wie das ein anderer Mensch bei einem bewirken kann, dachte er sich. Was sollte er nur sagen, wenn es so weit war, und was sollte er nur tun, um eine Verbindung aufzubauen? 
Wie Clemens´ blaue Augen strahlten, als Julius ihn schüchtern anlächelte, sie bewegten sich nun im gleichen Takt, aufeinander zu bewegend, bald konnten sie sich berühren, wenn sie das wollten. Julius dachte sich: Ja, ich will, ich will nichts mehr als das. Nicht an Sex dachte er in diesem Moment, sondern sich an den Älteren schmiegen, dessen Duft einatmen, ihn spüren, fühlen, das erste Mal in seinem Leben einem anderen Jungen wirklich nahe sein. Doch was will dieser Strahlemann von mir, widersprach ihm seine eigene Unsicherheit, sagte ihm, dass doch dieser Typ bestimmt schon Tausende solcher Situationen erlebt hatte, na, vielleicht nicht Tausende, aber sicher Hunderte. Clemens jedoch blickte ihn so an, als wollte er ihn, nur ihn, anschauen – und zwar das restliche Leben. Clemens kam ihm noch näher, zwischen ihren Körpern passte kein Blatt Papier mehr, sie hatten noch nicht miteinander geredet, ihre Gesichter waren so eng beieinander, dass sich ihre Nasen leicht berührten. Unsicher legte Julius seinen Kopf etwas schräger, Clemens nahm es als Aufforderung, küsste ihn das erste Mal ganz leicht auf die Lippen. ´Weich´ war alles, was der Junge in dem Moment dachte, weich, weich, weich, zart, ja – und wunderschön. Seine Lippen prickelten nun, fühlten sich toll an, sein Kopf fühlte sich so befreit wie nach einem morgendlichen Waldlauf an. Großartig, dachte er sich, ich möchte mehr, und wandte sich dem inzwischen abgerückten Clemens wieder näher zu, schmiegte sich an ihn, drückte ihm einen zarten Kuss in den Hals, was diesen zu einem leisen Jauchzen verführte, das Lächeln wurde breiter, die Augen größer. Und dann küsste der Ältere ihn das erste Mal richtig mit Zunge – die zunächst spielerisch die Lippen umkreiste, sich dann in den Mund liebkoste, zart, beweglich, erkundend. Dass dies das unbeschreiblichste Gefühl für Julius war, was dieser jemals erlebt hatte, konnte der erfahrene Clemens nur erahnen, der Junge fühlte sich wie schwebend auf einer Wolke, wusste nicht mehr, was er tat, wo die Hände seines Gegenübers waren, die sich den Weg unter das T-Shirt des Jüngeren bahnten...
Julius sah das strahlende Lachen, die funkelnden Augen von Clemens, als er wieder die Augen öffnete.
„Schließt du immer die Augen beim Küssen?“, fragte Clemens mit seinem österreichischen Akzent.
„Ich heiße Julius“, erwiderte der Junge überrumpelt von diesen ersten Worten des Älteren. Dieser lachte. „Ähm, das war mein erster Kuss“, schob er eilig nach. 
Clemens stellte sich vor, erzählte, dass er bald Zwanzig sei, gerade die Matura hinter sich habe, und nun hier in Frankfurt BWL studiere, es schien ihm etwas peinlich zu sein, dass der Junge erst fünfzehn und dies dessen erster Kuss sei. Andererseits kam ihm sofort in den Sinn: Besser ich als ein wirklich alter Sack. Ein Freund von Clemens brachte ihnen Biere und sie tanzten weiter, nun mit Flaschen in den Händen, beobachteten sich dabei, auch Blicke können prickelnd und weich sein. Ihm war es nun etwas unangenehm, dass er den Freunden sagen musste, dass er alleine hier sei. Sein bester Freund Markus, der ihn bis zur Tür begleitet hatte, bekam dann kalte Füße, wollte doch lieber nicht mit hinein – wer konnte es ihm verdenken, Markus stand auf Mädchen. Cool genug, dass er sich immer die Sorgen von Julius anhörte, ihn unterstützte, ihn vor den anderen in der Klasse verteidigte, wenn ein falsches Wort fiel. Markus war nicht nur der Klassensprecher, er war auch Star der Fußballmannschaft und Mädchenschwarm – und seit Kindergartentagen der engste Freund von Julius. Wie Pech und Schwefel, sagten sie immer. Doch die jungen Männer schien das nicht sehr zu kümmern. Alle sagten, er sehe wie Achtzehn aus, und einer, der schon etwas älter war, vielleicht Dreißig, rückte näher und flüsterte ihm ins Ohr: „Der Clemens hat immer so ein Schwein. Er kriegt immer die Hübschesten ab.“ Das war Julius etwas unangenehm, obgleich ihm selbstverständlich bewusst war, dass es ein Kompliment an ihn war, wenn auch etwas schmierig angesichts der Situation. Clemens und Julius tanzten, nachdem sie ihr Bier ausgetrunken hatten, wieder etwas inniger, küssten sich auch das eine oder andere Mal. Bis Julius, der nicht allzu oft Bier getrunken hatte in seinem Leben, austreten gehen musste. Er stieg also die Treppen hinauf, der Club hatte oben ein Café mit Toiletten, auf denen viel los war, scheinbar hatten sich in den beiden Kabinen Männer zum Kopulieren eingeschlossen, Julius war dies einerlei – er wollte nur wieder schnell zurück zu Clemens schweben. Als er wieder aus dem WC lief, schnappte er Gesprächsfetzen von zwei jungen, hübschen Männern auf, die im Café saßen und die Vorbeigehenden betrachteten. 
„Ich weiß gar nicht, wen ich mehr beneiden soll, den wunderschönen Clemens, der sie alle kriegt, oder diesen rattenscharfen kleinen Braungelockten, mit dem ich auch gerne mal würde...“
Der andere lächelte anerkennend und setzte an, eine entsprechende Antwort zu geben, doch Julius reichte das. Er beeilte sich, die Treppen zum Club hinunter zu laufen. Wie in der Sauna fühlte sich die Luft an, die ihm entgegen kam, es war so schwül da unten – wieso sie keine Lüftung eingebaut haben, fragte er sich.
Noch immer sah es so aus, als ob der blonde Clemens mit seinen Locken extra von einem Spot angestrahlt wurde, schon von weitem konnte ihn Julius sofort in der Menge ausmachen. Clemens mit dem großen weichen Mund, mit den funkelnden Augen. Er tanzte ausgelassen, lächelnd, euphorisch. Julius musste sich erneut durch die Menge bewegen, die Blicke verfolgten ihn nun, er schien an Aufmerksamkeit zu gewinnen: Da ist ja Clemens´ Eroberung des Abends, so schienen sie ihm entgegen zu schreien. Wenn Julius es nur besser gewusst hätte, wenn er von dessen Ruf mehr gewusst hätte. Vielleicht war es aber auch besser so: Wissen schützt vor Torheit nicht, sorgt nur gelegentlich dafür, dass man weniger Spaß hat – so drückte es Clemens jedenfalls aus. Clemens, der gerade einem gut aussehenden Mann, etwa Mitte Zwanzig, sehr muskulös, näher kam, der ihn an sich riss und wild knutschte. Julius blieb erstarrt stehen, fragte sich, ob er gerade halluzinierte oder das tatsächlich passierte. Die Musik wurde plötzlich wilder, die tanzende Masse schob ihn voran, ohne dass er es wollte, schob ihn in Richtung Clemens, der sich gerade von seinem Neuen löste, Julius erblickte, anstrahlte, wie er jeden anstrahlte, ihm näher kam, in den Arm nehmen wollte. Julius stieß ihn weg, so wie er alle nun wegstieß, die ihm den Weg versperrten, er rannte so schnell er konnte die Treppen hinauf, blieb erst draußen vor dem Café stehen, holte Luft, mehrmals ein-, mehrmals ausatmen. Er begab sich in die Hocke, Tränen liefen ihm aus den Augen, dicke, fette Tränen, solche, wie er sie zuletzt vor zwei Jahren geweint hatte, als ihm klar wurde, dass er in Markus verliebt war, so wie Markus in Laetitia verliebt gewesen war – und dass das alles ausweglos sei. Er fühlte sich nun gedemütigt, fühlte sich abgewiesen, fühlte sich austauschbar, wusste nicht, ob er traurig ob des Verlusts oder wütend ob dieser Schmähung sein sollte. Wie verhielt man sich in so einer Situation, fragte er sich verzweifelt. Ich will weg, weg, weg, dachte er sich, doch als er sich gerade erhob und loslaufen wollte, hatte ihn Clemens von hinten umschlungen. 
„Wo möchtest du hin, mein Wunderschöner?“, fragte der Österreicher mit Schmäh, doch Julius war nicht danach. 
Er stieß sich weg, drehte sich, schleuderte ihm seine Tränen entgegen, schrie: „Warum tust du mir das an?“
Clemens schaute ihn erschüttert und verständnislos an, freigeistig wie seine Einstellung war, seine Eltern gehörten zu den ersten Hippies, die an der Dechant Lake in Wien (in einem Wald an einem alten Seitenarm der Donau) campiert und dort eine Kommune im Sommer eröffnet hatten, alle liefen nackt herum und jeder sollte mit jedem Sex haben. Nun, das hatte nie so wirklich funktioniert, doch diese Einstellung gaben sie ihrem Filius mit, der vieles zu sehen bekommen hatte in seinen jungen Jahren. Ein bisschen flirten, sagte er, ein bisschen knutschen, das wird doch sowieso viel zu wenig gemacht. Was ist denn da dabei, es macht Spaß, ist schön, lässt uns jung bleiben, lässt uns schweben, führte er weiter fort. Was ist denn los? fragte er, war es nicht schön mit mir zu knutschen? War es nicht schön, mit mir zu schmusen, mit mir etwas zu trinken, ein bisschen zu träumen?
Clemens strahlte nur für ihn in diesem Moment, nur für ihn, das sagte zumindest Clemens, komm´ mit mir nach Hause, mein Wunderschöner, siehst du, ich könnt´ sie alle nehmen, aber ich möcht´ nur dich, sei doch nicht so. Und Julius versank nun in den Augen von Clemens, dachte gar nichts mehr, außer: Das soll also mein Erster sein? Ein Strahlemann mit österreichischem Akzent, gerade die Matura hinter sich, das Studium vor sich, ein Studierender – was wird Markus nur sagen? Warte, ich sag nur Aufwiederschaun, meinte Clemens, und Julius versank nun in Gedanken, in Fragen: wie es sein wird, sein erstes Mal Sex... Kaum war er wieder in der Realität angekommen, stand der Schwarm wieder neben ihm, ganz adrett, ganz charmant, versprach ihm die Welt, versprach ihm das schönste Abenteuer des Lebens. So bemerkte Julius kaum die Umgebung, plötzlich schon, vielleicht waren es fünf Minuten, vielleicht fünfzehn gewesen, da sagte Clemens: „Hier sind wir schon!“ Er öffnete das Portal unten, sie gingen die drei Stockwerke nach oben, an der Türe standen zwei Namen, Clemens öffnete sie, während Julius flüsterte: „Wer ist denn Anton?“ Und der Wunderbarste ihn einfach weiter ins Schlafzimmer schob, den Lichtschalter drückte, etwas dimmte, damit das Licht nicht gar so grell war. Julius erkannte in dem großen Bett eine zugedeckte Gestalt, die gerade ihre Augen öffnete. Er erblickte einen jungen Mann mit nacktem Oberkörper, der wie der eines Schwimmers aussah, gut austrainiert, blonde kurze Haare, blaue Augen. „Servus, ich heiße Anton“, sagte der verschlafen, „schön, dass du da bist!“ 
Clemens strahlte immer noch, auch in diesem gedimmten, schwachen Licht, hatte funkelnde Augen, einen gierigen Blick. Julius begriff nichts, er nahm nur noch wahr, wie sich die Bettdecke von Anton noch mehr hob, weil sich da wohl ein Körperteil sehr regte, er begriff nicht, merkte noch nicht einmal, dass er gerade schon von Clemens ausgezogen wurde...

Und morgen wird euch Sigrid Frings mit einem wunderbaren Beitrag verwöhnen ... :-)
http://sigridfrings.blogspot.de/

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